Klassische Geldpolitik, adieu?
Vor einigen Wochen ging ein Aufschrei durch die Finanzbranche, als die jüngste Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus, Alexandria Ocasio-Cortez, sich als Befürworterin der sogenannten Modern Monetary Policy (MMT) outete. Darin wird die bisher gängige Theorie des Zusammenspiels zwischen Staatsregierungen und Notenbanken auf den Kopf gestellt. Hierbei wird auf eine aktive Finanzpolitik gesetzt, welche auf eine Vollbeschäftigung abzielt. Die Notenbanken würden also auf die Rolle des Finanzierers des Staates reduziert werden. Die Regierungen könnten somit ihr eigenes Geld drucken und in Zeiten geringer Inflation deutlich höhere Schulden machen.
Summers nennt Modern Monetary Policy „Voodoo-Wirtschaftswissenschaft“
Diese beispielsweise von Harvard-Professor Larry Summers als „Voodoo-Wirtschaftswissenschaft“ verspottete Doktrin wird allerdings immer mehr salonfähig. Einer der bekanntesten Anhänger dieser Lehre ist u.a. Senator Bernie Sanders, der 2016 für das Amt des US-Präsidenten kandidiert hat. Und auch der Milliardär und Hedgefonds-Manager Ray Dalio bezeichnet das bisherige Zentralbankwesen als Auslaufmodell, das durch eine Art moderner Geldtheorie ersetzt werden soll. In einem Punkt hat sogar Larry Summers inzwischen umgedacht und sich dafür ausgesprochen, die Fiskalpolitik stärker als Instrument zu nutzen. Hierbei wird allerdings die größte Herausforderung sein, wirtschaftlichen Wohlstand für die meisten Menschen zu schaffen. In der Vergangenheit wurde immer wieder versucht, die Wirtschaft mittels Zinssenkungen oder den Kauf von Wertpapieren im Rahmen von Ankaufprogrammen (QE) zu stimulieren. Jedoch scheinen diese Instrumente nicht für immer und ewig die richtige Medizin zu sein. Es ist nach Ansicht von Ray Dalio an der Zeit, umzudenken und den Regierungen die Möglichkeit zu geben, ihre Wirtschaft durch Ausgaben und Steuern zu lenken.
Kritiker betonen allerdings, dass angesichts der Haushaltsdefizite und der enormen Staatsschulden dies der falsche Ansatz ist. Denn wie die Erfahrung mit der Steuerpolitik des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump zeigt, haben die meisten Amerikaner nur in geringem Maße davon profitiert. Lediglich die Staatsverschuldung ist angewachsen. Jedoch scheinen sich die Wähler von D. T., dem Unberechenbaren, nicht sonderlich für die hohen Fehlbeträge zu interessieren. Noch nicht!
Mischung aus Alt und Neu
Grundsätzlich sollte eine gesunde Mischung aus Alt und Neu helfen, die Probleme der Gegenwart in den Griff zu bekommen. Denn wie bei jeder Medizin gilt auch für alle Instrumente der modernen Geldpolitik, dass sie nur in verträglicher Dosierung verabreicht werden dürfen, da sie ansonsten auch tödlich sein können.
Europawahl entscheidet auch über EZB-Spitze
Bei der Europawahl vom 23. bis 26. Mai wird nicht nur über die Zusammensetzung des Parlaments in Brüssel entschieden. Ihr Ergebnis wird sich auch auf die Nachfolge des scheidenden Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, auswirken. Denn das Land, das den Kommissionspräsidenten stellen wird, hat keine Chancen auf einen anderen Spitzenposten. Und so ist das Schicksal von Manfred Weber (CSU), der die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident anstrebt, eng mit der Zukunft von Bundesbank-Chef Jens Weidmann, der gerne Draghi beerben würde, verknüpft. Überraschenderweise hat nun ausgerechnet Juncker im „Handelsblatt“ für Weidmann Partei ergriffen, den er als einen überzeugten Europäer und erfahrenen Zentralbanker für das Amt an der EZB-Spitze für geeignet hält. Weidmann mag’s freuen, ebenso die Sparer, die sich von dem Deutschen höhere Zinsen erwarten. Weiter im Rennen ist auch Olli Rehn, der Gouverneur der finnischen Zentralbank, der in vielen Punkten ähnliche Ansichten wie Weidmann hat.
Deutschland stellte noch nie den EZB-Chef
Aber auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron dürfte die Botschaft aus Brüssel mit Freuden hören. Schließlich hatte er selbst für Frankreich Ansprüche auf den Posten des EU- Kommissionspräsidenten erhoben. Michel Barnier, derzeitiger Brexit-Chefunterhändler der EU, käme hierfür in Frage. Würde aber ein Franzose Juncker beerben, hätte François Villeroy de Galhau, Chef der französischen Zentralbank, keine Chance mehr auf die Draghi-Nachfolge. Und die Aussichten von Weidmann würden sich verbessern. Hinzu kommt, dass Deutschland als größtes EU-Land seit Gründung der EZB im Jahr 1999 noch keinen Präsidenten gestellt hat. Allerdings hat sich Weidmann durch seinen häufigen Widerstand gegen Draghis expansive Geldpolitik immer wieder den Unmut anderer EU-Länder zugezogen.
Spekulationen schießen ins Kraut
Muss man also über andere deutsche Kandidaten nachdenken, weil Deutschland einen neuen, für andere Länder akzeptableren Anwärter braucht? Deshalb wird bereits über mehrere alternative Kandidaten spekuliert. Da sind etwa Klaus Regling, der Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus, oder Claudia Buch, die Vizepräsidentin der deutschen Bundesbank, die genannt werden. Und auch die Namen Marcel Fratzscher, Chef des einflussreichen DIW-Instituts für Wirtschaftsforschung, sowie Jörg Asmussen, der bereits einmal im EZB-Direktorium saß, machen die Runde. Ob diese Spekulationen allerdings alle ernst zu nehmen sind, darf redlich bezweifelt werden. Vielmehr dürfte die Neubesetzung des Chefpostens bei der EZB erst nach Klärung der Juncker-Nachfolge entschieden werden. Diese wird wiederum vom Ausgang der Europawahlen abhängen und somit wird wahrscheinlich erst wenige Tage vor dem Ende der Amtszeit von Mario Draghi über den nächsten EZB-Präsidenten entschieden werden. Es ist sogar zu befürchten, dass es auf einen Kuhhandel hinauslaufen wird und nicht unbedingt die fachliche Kompetenz den Ausschlag gibt.
Fed und BaFin warnen vor wachsenden Risiken
Zwei sehr unterschiedliche Institutionen haben dieser Tage vor wachsenden Risiken an den Finanzmärkten gewarnt. Zum einen hat die US-Notenbank Federal Reserve in ihrem aktuellen Report auf einen rasanten Anstieg der riskanten Unternehmensschulden hingewiesen, was aufzeigt wie verletzbar die USA, als die größte Volkswirtschaft der Welt, ist. Und zum anderen beschrieb die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) angesichts des sich eintrübenden konjunkturellen Umfelds neue Risiken für die Finanzstabilität.
Hochrisiko-Kredite in den USA auf Rekordniveau
Wie die Fed schreibt, ist das Volumen von Hochrisiko-Krediten 2018 in den USA um ein Fünftel auf 1,1 Bill. USD angestiegen – ein Niveau, das über den Höchstständen während der Finanzkrise liegt. Die Notenbank bezeichnet diese Entwicklung der Verschuldungsspirale als besonders beunruhigend, weil die stärksten Zuwachsraten bei „unsicheren“ Unternehmen zu verzeichnen sind. Diese verfügen über eine relativ niedrige Kreditwürdigkeit und sind ohnehin bereits stark verschuldet. Noch sind die Ausfallraten laut Fed zu vernachlässigen, doch warnt die Notenbank davor, dass sich dies bei einem Konjunktureinbruch ändern könnte. Jedoch versucht man auch zu beruhigen und verweist darauf, dass die „Collateralized Loan Obligations“ (CLO), mit denen Hochrisiko-Kredite in Paketen gehandelt werden, weniger ansteckend als die Subprime-Hypotheken sind, die während der Finanzkrise verkauft wurden. Allein mir fehlt der Glaube!
Ungeachtet dieser Risiken umfasst das Volumen von Staatsanleihen mit einer negativen Rendite mittlerweile 10 Bill. USD, das sind 20% mehr als zum Jahresanfang. Damit übernehmen Investoren vorübergehend einen erheblichen Teil der Staatsschulden.
Hufeld sieht Ansteckungsgefahr
Eine Warnung anderer Art kam indessen von der BaFin. Ihr Präsident Felix Hufeld wies bei der Jahrespressekonferenz der Aufsicht auf die möglichen Folgen niedriger Zinsen hin, welche die Finanzbranche weiter stark belasten. Parallel dazu machte er auf die rekordhohen Verschuldungsraten aufmerksam, während in den Bankbilanzen einiger EU-Länder viele faule Kredite „gären“. Vor dem Hintergrund, dass die Finanzmarktakteure untereinander stark vernetzt sind, sieht Hufeld hier eine große Ansteckungsgefahr. Für die deutschen Kreditinstitute konstatiert die BaFin aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung eine Halbierung der Risikovorsorge seit 2014. Um gleich die Warnung hinterherzuschieben, wonach eine mögliche Erosion der Kreditvergabestandards in Verbindung mit einer reduzierten Risikovorsorge eine Gefahr für die Finanzstabilität darstellen könnte.
Italien und Frankreich auf Schuldenkurs
Wenn es sein muss, reißt die italienische Regierung auch die EU-Defizitgrenze und fühlt sich nicht mehr an die erst kürzlich mit Brüssel getroffene Vereinbarung gebunden. Hauptsache, die Steuern können 2019 - wie im Wahlkampf versprochen - wesentlich gesenkt werden. Dies wurde nun nach jüngsten Aussagen von Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini klar, der sich einmal mehr als unzuverlässiger Kantonist outete. Für das kommende Jahr rechnet die EU-Kommission mit einem Defizit von 3,5%, sollte die Regierung in dem ohnehin wachstumsschwachen Italien nicht umsteuern.
Aber nicht nur um die Schuldenpolitik Italiens ist es schlecht bestellt. Nach Planungen der EU-Kommission wird jetzt wohl auch Frankreich 2019 die Maastricht-Regeln verletzen und dieses Jahr ein Defizit von 3,1% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausweisen. Dies wird von der Senkung der Lohnsteuer im Umfang von etwa 5 Mrd.€ verursacht, mit der Präsident Emmanuel Macron auf die monatelangen Proteste der regierungsfeindlichen „Gelbwesten“ reagiert hatte. Finanziert werden soll die Steuersenkung durch das Stopfen von Steuerlöchern für Unternehmen und durch niedrigere Staatsausgaben.
Positive Erwartungen an Frankreich
Anders als für Italien beurteilt die Kommission allerdings die Zukunft für Frankreich positiv. So erwartet die EU, dass durch die haushaltspolitischen Maßnahmen in Paris die Kaufkraft der Franzosen gesteigert und damit der private Konsum insgesamt angekurbelt wird. In der Folge geht die EU davon aus, dass der französische Fehlbetrag 2020 wieder auf 2,2% sinken wird.
Tsipras verteilt Wahlgeschenke
Steuern senken, will auch die Regierung in Athen, was die Opposition als massives Wahlkampfmanöver kurz vor der Europawahl einordnet. Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte angekündigt, die während der Sparprogramme auf 24% erhöhte Mehrwertsteuer für Lebensmittel und Gastronomie-Betriebe, auf 13% zu senken. Ebenso soll es Sonderzahlungen für Rentner geben. Bei den Wahlgeschenken dürfte der Umstand mit eine Rolle spielen, dass in Griechenland nicht nur die Europawahl, sondern spätestens im Oktober die eigene Parlamentswahl ansteht. Ministerpräsident Tsipras möchte mit den Steuererleichterungen und der Sonderzahlung für Rentner zeigen, dass Athen die Sparvorgaben der Geldgeber-Länder mehr als erfüllt hat und somit in der Lage ist, Korrekturen bei verschiedenen Maßnahmen vorzunehmen.
Krise der Lira verschärft sich
Die Ankündigung der Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul hat den Wert der türkischen Lira deutlich gedrückt. Ein US-Dollar kostete Anfang der Woche erstmals seit Oktober 2018 wieder mehr als 6 TRY und der Euro verteuerte sich sogar auf 6,93 TRY. Seit Jahresanfang verlor die Lira damit ca. 11% ihres Wertes. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte eine Wiederholung der Wahl gefordert, weil es nach seiner Ansicht Unregelmäßigkeiten gegeben haben soll. Der Kandidat der Republikanische Volkspartei CHP, Ekrem Imamoglu, war im März mit 0,2 PP knapp als Sieger gegen den Kandidaten von Erdogans Partei AKP hervorgegangen.
Fitch bestätigt "BB"-Rating
Damit bleibt das Misstrauen der Märkte in die türkische Politik erhalten. Das Land befindet sich seit Ende 2018 in einer Rezession, die Inflation liegt bei ca. 20% und nicht zuletzt die schlechte wirtschaftliche Lage hat zu den Wahlergebnissen beigetragen. Entsprechend blickt die Ratingagentur Fitch mit Sorge auf die Situation in der Türkei, bestätigte aber dennoch das bisherige Rating von "BB" mit negativen Ausblick. Besonders erwähnt wurden in diesem Zusammenhang auch die doch sehr niedrigen Devisenreserven und die politischen Risiken.