Thema der Woche
Märkte reagieren eher gelassen auf Brexit-Votum
Noch ist das, was der Governor der Bank of England, Mark Carney, schon 2016 als das „größte Risiko für die Finanzstabilität Großbritanniens“ bezeichnet hat, der Austritt des Landes aus der EU, nicht Realität geworden. Und muss es auch nicht zwingend werden. Aber nach der Klatsche, die sich Premierministerin Theresa May vom Parlament für ihren ausgehandelten Brexit-Vertrag eingefangen hat, herrscht Chaos auf der Insel. Dass die Kapitalmärkte angesichts der Situation relativ gelassen, ja scheinbar lethargisch reagieren, liegt an zwei Gründen. Zum einen war das Votum von den Börsianern erwartet worden, wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit. Und zum anderen sind ja keine wirklich neuen Fakten entstanden. Dies ist am Kurs des britischen Pfunds ablesbar, das zunächst um 0,7% auf 1,2766 USD nachgegeben hatte, um sich anschließend auf 1,2895 USD zu erholen.
Renditeaufschläge für zehnjährige britische Staatsanleihen ziehen an
Doch nicht nur am Devisenmarkt, sondern auch am Bondmarkt kam es zu Bereinigungen eingegangener Absicherungsmaßnahmen und das führte beispielsweise bei der Rendite zehnjähriger britischen Staatsanleihen (aktuell: ca. 1,31%) gegenüber deutschen Bundesanleihen zu einer Spreadausweitung von bis zu 108,6 BP. Zu Jahresbeginn beliefen sich die Renditeaufschläge noch auf 104,1 BP.
Welcher Weg kann aus dem Chaos führen?
Welcher Weg nun aus dem Chaos führen soll, lässt sich schwer voraussagen. Man erinnert sich angesichts der verworrenen Situation humoristisch an Obelix, der in dem Comic-Abenteuer „Asterix bei den Briten“ die Eigenarten der Inselbewohner gerne mit „Die spinnen, die Briten“ kommentiert hat. Und ernsthaft betrachtet, wäre es aus Sicht der Europäer doch schön, wenn die Briten endlich für Klarheit sorgen würden. Nicht von Ungefähr forderte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Vereinigte Königreich auf, seine Absichten schnellstmöglich intern zu klären und offenzulegen. Doch bevor ein Plan B als Lösung aus dem Hut gezaubert werden konnte, musste Theresa May zuerst ein Misstrauensvotum überstehen.
Hätte das Parlament May die Gefolgschaft verweigert und wäre dem Misstrauensantrag von Oppositionsführer Jeremy Corbyn gefolgt, wäre der Weg für Neuwahlen frei gewesen. Um aber ihre Macht zu erhalten, verhinderten Mays Tories den Sturz der Premierministerin – obwohl sie der Regierungschefin doch kurz zuvor eine krachende Niederlage bereitet hatten. Alle nun noch möglichen Optionen haben jedoch ihre Tücken.
Schliddert Großbritannien sehenden Auges ins Chaos?
Zum einen könnte der Brexit noch einseitig von Großbritannien gestoppt werden. Doch diese Variante erscheint politisch nicht durchsetzbar. Aber auch ein zweites Referendum, von dem keiner wüsste, wie es ausgeht, würde für großen Druck sorgen. Zumal hierzu ein Aufschub des Austrittdatums am 29. März notwendig wäre und dazu auch die anderen 27 EU-Staaten ihre Zustimmung geben müssten. Nach jüngsten Meldungen der Zeitung "The Times" wäre hierzu die Europäische Union sogar bereit und entsprechende Pläne sollen bereits geprüft werden. Doch angesichts der anstehenden Europa-Wahlen vom 23. bis 26. Mai würde dies sogar neue Probleme schaffen, wie beispielsweise die Rolle der Briten bei den Wahlen. Sollte sich die EU hierauf nicht einlassen wollen, zumal die Briten dann noch sehr wahrscheinlich Zugeständnisse mit Brüssel aushandeln möchten, würde ein ungeregelter Brexit näher rücken. Den will eigentlich kein vernünftig denkender Mensch, weder in Brüssel noch in London, außer den sturen Hardlinern unter den Brexiteers. Sollte das Vereinigte Königreich also sehenden Auges in ein Chaos schliddern, weil es im Parlament keine Mehrheit für einen wie auch immer gearteten Austrittsvertrag gibt? EU-Chefunterhändler Michel Barnier jedenfalls beurteilt das Risiko eines Brexits ohne Abkommen so hoch wie noch nie. Sollte es so kommen, müsste man Obelix Recht geben.
Die konservativen Abgeordneten aus Mays Tory-Partei wissen zwar „No“ zu sagen (Motto: „No Deal, no Problem“), sind aber nicht in der Lage auszudrücken, was sie en Detail wollen, insbesondere wie man die Grenzfrage zwischen Nordirland und der Republik Irland lösen könnte. Sie lehnen auch die Auffanglösung („Backstop“) ab, die einen Verbleib in der Zollunion, gegebenenfalls auch befristet, vorsieht und so eine „harte“ Grenze verhindert.
May könnte versuchen, ihren Deal aufzuhübschen
Vor diesem Hintergrund dürfte es May erneut versuchen, Brüssel Zugeständnisse abzuverhandeln, um ihren Deal aufzuhübschen und dem Parlament schmackhaft zu machen. Ob dies gelingt, wird sich bald zeigen. Denn bereits am Montag ist erneut Mayday: Dann muss die Premierministerin dem Parlament ihren Plan B vorstellen und nach maximal 7 Sitzungstagen darüber erneut abstimmen lassen. Die Uhr tickt also gnadenlos. Jedoch hat man den Eindruck, dass infolge der seit 2017 durchgeführten Renovierungsmaßnahmen am Elisabeth Tower die Briten nicht mehr wissen, was die Stunde geschlagen hat!
Klaus Stopp, Head of Market Making Bonds der Baader Bank