Die Geister, die ich rief…
In den vergangenen Wochen haben sich die warnenden Worte bezüglich der Entwicklung an den Finanzmärkten gemehrt, wobei allerdings verschiedene Einschätzungen der Marktteilnehmer nicht automatisch eine eindeutige Beurteilung ergeben. Die dabei angeführten Aspekte betreffen zum einen die weitere Entwicklung der Notenbankpolitik, aber zum anderen auch die dafür ausschlaggebenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Speziell hierzu gibt es unterschiedlich zu interpretierende Konjunkturdaten, was u.a. bereits zu Kursverlusten an den Aktienmärkten geführt hat.
OECD senkt Prognosen
Schenkt man den Ausführungen der US-Notenbanker Glauben, so ist es immer noch gut um die wirtschaftliche Entwicklung in den USA bestellt. Jedoch signalisierten die jüngsten Zahlen aus der Bauindustrie, dass die Zinsanhebungen dort eine Fortsetzung des Baubooms hemmen und somit erste dunkle Wolken am Horizont aufziehen. Diese Wachstumssorgen waren auch aus den gestern veröffentlichten OECD-Prognosen herauszulesen. So hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) das Wirtschaftswachstum für Deutschland, aber auch für die Eurozone und sogar weltweit leicht nach unten revidiert. Wurde im September für 2019 noch ein Wachstum von 3,7% prognostiziert, so erwartet man jetzt "nur" noch 3,5%.
Das ist zwar alles nicht dramatisch, aber es verdeutlicht eine gewisse Trendwende im Hinblick auf die vielen ungelösten Fragen wie Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und dem Rest der Welt sowie dem „Zweifrontenkonflikt der EU“ - Brexit und Italien. Daher ist eine weitere konjunkturelle Abkühlung nicht auszuschließen. Das wiederum hätte Folgen für die zukünftige Ausrichtung der Geldpolitik führender Notenbanken.
Die Fed und der Dezember
Noch wird von den Marktteilnehmern im Dezember eine weitere Zinsanhebung in den USA erwartet. Aber ob im kommenden Jahr wirklich noch drei weitere Schritte erfolgen werden, darf zumindest kritisch hinterfragt werden. So hat der Fed-Chef für 2019 angekündigt, dass es jetzt auch an der Zeit ist, eine Bilanz zu ziehen, wie zukünftig Geldpolitik festgelegt, betrieben und auch kommuniziert werden soll. Diese Ankündigung von Jerome Powell wird sicherlich D.T. - den Unberechenbaren – erfreut haben. Aber auch Mario Draghi hat zuletzt Signale ausgesandt, die auf eine weitere zeitliche Abkehr von der ultraexpansiven Geldpolitik schließen lassen. Ähnlich äußerte sich zuletzt noch das Ratsmitglied Francois Villeroy de Galhau, der darauf hinwies, dass das bevorstehende Ende der Anleihekäufe nicht automatisch das Ende der lockeren Geldpolitik sei.
Ratingabstufungen könnten Abwärtsspirale in Gang setzen
Jedoch hat insbesondere der Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen bei den Emittenten nicht zu einem maßvollen Umgang mit Schulden geführt, sondern sogar den Verschuldungsgrad noch ansteigen lassen. Dies birgt gepaart mit einem möglichen konjunkturellen Abschwung nun die Gefahr, dass der Kreditboom viele Unternehmen schon bald vor schier unlösbare Refinanzierungsprobleme stellen wird. Sollte das geschehen, so würden die Kurse von verschiedenen Unternehmensanleihen unter Druck geraten und im Falle von Ratingabstufungen sogar eine Abwärtsspirale in Gang setzen. Einen ersten Vorgeschmack darauf erhielten zuletzt General Electric-Anleiheinvestoren. Dieses Unternehmen wurde vor der Finanzkrise noch mit der Spitzenbonität AAA und inzwischen nur noch mit BBB+ bewertet. In diesem Sinne fühlt man sich oftmals wie der Zauberlehrling: Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.
Italiens „Patriotenanleihe“ wird zum Flop
Das Vertrauen der Anleger in italienische Staatspapiere hat sich deutlich abgekühlt. Dies spiegelt die Nachfrage nach der sogenannten Patriotenanleihe mit der Bezeichnung „BTP Italia“ wider, die insbesondere Privatanlegern angeboten wird. So beliefen sich die Kaufaufträge am Dienstag bis zum Mittag auf nur 646 Mio. €.
Anleihen wie diese sind mit einer Mindestverzinsung zum Schutz gegen Inflation ausgestattet und werden seit 2012 vom italienischen Staat in regelmäßigen Abständen begeben. In der Vergangenheit haben derartige Verkäufe meist hohe Summen in Milliardenhöhe in die Staatskasse gespült.
Zurückhaltung von privaten Anlegern
Die aktuelle Zurückhaltung der privaten, heimischen Anleger lässt nichts Gutes erahnen, nachdem bereits internationale Investoren sich zunehmend von italienischen Titeln verabschiedet haben. So rentieren italienische Staatsanleihen im zehnjährigen Bereich mit ca. 3,50%. Damit beträgt der Risikoaufschlag gegenüber Bundesanleihen, den Italien seinen Gläubigern bezahlen muss, rund 313 Basispunkte (BP). Entsprechend teuer kommt Rom die Refinanzierung seiner Schulden.
Oettinger muss nachsitzen
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger muss nachsitzen. Nachdem die Verhandlungen zwischen dem Europaparlament und den Mitgliedstaaten über den EU-Haushalt für das kommende Jahr gescheitert sind, muss die EU-Kommission einen neuen Vorschlag für das Budget 2019 präsentieren. Während das Parlament Auszahlungen von 149,3 Mrd. € gefordert hat, wollten die Mitgliedsstaaten nur 148,2 Mrd. € bewilligen.
Sturm im Wasserglas?
Der Streit entbrannte unter anderem an den Verhandlungen zwischen dem Europaparlament und den Mitgliedstaaten über den EU-Haushalt für das kommende Jahr sowie der Frage, ungenutzte Mittel aus dem Forschungsbudget Horizon im darauffolgenden Jahr zu verwenden. Ist das alles nur ein Sturm im Wasserglas, zumal die Vorstellungen für die Ausgabenhöhen nicht weit auseinanderliegen?
Brüssel will Notbudget vermeiden
Es sieht so aus, als ob manche Parlamentarier den Streit vom Zaun gebrochen haben, um mit Blick auf die Europawahlen im Mai 2019 die EU zu diskreditieren. Umso dringlicher ist es für Oettinger, „in einigen Tagen“ einen neuen Entwurf vorzulegen. Denn eins will man in Brüssel sicherlich vermeiden: ein Notbudget, das man bei einer Nichteinigung aufstellen müsste. Denn dies hätte auch Verzögerungen bei langfristigen Projekten zur Folge.
Volumen des Eurozonen-Haushalts offen
Auf den Weg gebracht ist indessen ein Eurozonen-Haushalt, den Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schon vor längerer Zeit angestoßen hat. Im deutsch-französischen Vorschlag heißt es, dass das neue Budget die Konvergenz der Eurozone fördern, Investitionen anschieben und die Eurozone weiter stabilisieren soll. So weit, so gut. Doch es bleibt noch Vieles im Unklaren. Insbesondere ist das Wichtigste weiterhin offen: Das finanzielle Volumen des Eurozonen-Haushalts.
Mays politischer Überlebenskampf
Was haben Spanien und die kleine nordirische DUP gemeinsam? Beide warnen sie, den vorliegenden Brexit-Vertrag anzunehmen – und zwar aus unterschiedlichen Gründen. DUP-Chefin Arlene Foster kritisiert, dass der Vertrag Großbritannien an die EU binde und die territoriale Integrität des Vereinigten Königreichs untergraben könnte. Spanien wiederum fordert Nachbesserungen zu Gibraltar, wozu es im Brexit-Vertragswerk heißt, dass die EU und Großbritannien „schnell die Vereinbarungen verhandeln werden, die ihr künftiges Verhältnis bestimmen werden“. Dies aber soll nach dem Willen von Madrid separat und bilateral zwischen Spanien und Großbritannien ausgehandelt werden. Sonst will die Regierung in Madrid nicht zustimmen.
Es gilt, dicke Bretter zu bohren
Die dicken Bretter, die es beim Brexit-Vertrag zu bohren gilt, sind damit jedenfalls nicht dünner geworden, wenn es am Sonntag zum Ministertreffen der EU und Großbritannien kommt. Dann soll die Kompromissformel, die zumindest vorübergehend eine Zollunion vorsieht, eigentlich unter Dach und Fach gebracht werden, wie weite Kreise der EU-Minister verlautbaren.
Dagegen ringt Theresa May in London weiter ums politische Überleben. So wollen ihre Widersacher unter Führung des konservativen Brexit-Hardliners Jacob Rees-Mogg 48 Briefe von konservativen Abgeordneten zusammenbekommen, die für die Einleitung eines Misstrauensvotums gegen die Ministerpräsidentin reichen würden. Ob sie ein solches Votum überstehen und gar gestärkt hervorgehen würde, steht in den Sternen, wird aber von Beobachtern nicht ausgeschlossen.
Abstimmung mit ungewissem Ausgang steht bevor
Noch steht nicht fest, wann das britische Parlament über den Brexit-Deal befinden wird. Wahrscheinlich findet die Abstimmung in der zweiten Dezemberwoche statt - und das mit ungewissem Ausgang. Denn May hat es geschafft, zumindest teilweise die Gegner und Befürworter des EU-Austritts gegen sich selbst zu einigen. Den einen scheint ihr Verhandlungsresultat zu weich, die anderen wollen lieber in der EU bleiben und fordern ein zweites Referendum.
Auch Nachfolger müsste Modus Vivendi mit EU finden
Auch wenn May die politischen Turbulenzen nicht überstehen sollte, muss doch klar sein, dass ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger so oder so einen Modus Vivendi mit der EU finden muss. Nur so kann die eigene Wirtschaft genügend Spielraum im Umgang mit den wichtigsten Handelspartnern erhalten. Man mag seine Zweifel haben, ob die Brexiteers das begriffen haben. Denn man kann nicht auf die reine Selbstständigkeit beharren, ohne wirtschaftliche Nachteile einzupreisen. Wer aber EU-Regeln akzeptiert, erhält einen Marktzugang, der Chancen auf einen auskömmlichen Handel im beiderseitigen Vorteil eröffnet.