Weidmann weichgespült?
Damals, als sich die Europäische Zentralbank (EZB) aufmachte, ihr umstrittenes Ankaufprogramm OMT („Outright Monetary Transactions“) auf den Weg zu bringen, stand Jens Weidmann ganz alleine. Der Bundesbank-Präsident war im September 2012 der einzige wichtige europäische Notenbanker, der sich gegen diese Maßnahme expansiver Geldpolitik im EZB-Rat stellte. Damit zeigte sich Weidmann als Mann mit Prinzipien. Ihn habe die Sorge umgetrieben, dass die Geldpolitik ins Schlepptau der Fiskalpolitik geraten könne, sagte er nun „Zeit Online“. Aber, nachdem der Europäische Gerichtshof das Anleihekaufprogramm als rechtmäßig eingestuft hat, sehe er sich daran gebunden. Ob Weidmann damit seine Prinzipien verrate, wie die „Welt“ fragte, sei dahingestellt. Fest steht aber, dass solche Aussagen vor dem Hintergrund des Gerangels um die Chefposten der Europäischen Union (EU) getätigt werden.
Bundesbank-Chef versucht Kritikern entgegenzukommen
Denn nun hat Weidmann, der einer der Kandidaten für die Nachfolge von Mario Draghi an der Spitze der EZB ist, gegenüber seinen Kritikern signalisiert, dass er das OMT-Programm nicht zurücknehmen wird, sollte er denn den EZB-Chefposten erhalten. Seine bisherige Kritik am OMT und die Ablehnung des Einsatzes quantitativer Lockerungen der Geldpolitik (QE) sind vor allem den südeuropäischen EU-Staaten ein Dorn im Auge. So sieht das bislang noch nie eingesetzte Rettungsprogramm OMT vor, im Notfall unter bestimmten Bedingungen unbegrenzt Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder zu erwerben.
Draghi lässt die Muskeln spielen
Bei der Bundesbank heißt es nun, Weidmann habe bisher immer ökonomisch und nie rechtlich argumentiert. Bei allem Respekt vor dem Bundesbank-Präsidenten, der als fachliche Spitzenbesetzung gilt, klingen solche Deutungsversuche wie eine weichgespülte Version seiner bisherigen Haltung. Ob dies reicht, die Südländer in der EU zu überzeugen, Weidmann mit der Nachfolge des bisherigen EZB-Chefs Mario Draghi zu betrauen, ist offen. Sollte es aber so weit kommen, wird es ohnehin schwer für den Bundesbanker. Denn Draghi, unter dessen Führung die EZB nur die Zinsen gesenkt, aber nie erhöht hat, ließ in der vergangenen Woche nochmals die Muskeln spielen. Im portugiesischen Sintra machte er klar, dass der EZB alle Mittel zur Verfügung stünden, um ein Absacken der Inflation zu verhindern. Damit eröffnete er die Spekulation auf weitere Zinssenkungen auch unterhalb der Nulllinie. Auch einen neuen Anlauf der Nettoankäufe für Staatsanleihen schloss der scheidende EZB-Chef nicht aus.
Geschacher um weitere EU-Chefposten
Dabei ist die Neubesetzung der EZB-Spitze ohnehin im Rahmen des Geschachers um weitere Chefposten der EU zu sehen. Der wichtigste davon ist das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will im Ringen um die Nachfolge von Jean-Claude Juncker vom sogenannten Spitzenkandidatenprinzip abweichen, was eher nach Hinterzimmer-Diplomatie schmecken würde als nach Respekt vor dem Wählerwillen. Die Chancen des ohnehin als „zu brav“ geltenden Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), sind dadurch weiter gesunken. Ihn würde wohl Kanzlerin Angela Merkel bevorzugen, würde es für Deutschland auf die Wahl „Weber oder Weidmann“ hinauslaufen. Natürlich hätte Berlin mit einem EU-Kommissionspräsidenten Weber größeren Einfluss auf langfristige Gesetzgebungsprozesse in der Gemeinschaft. Für den Kapitalmarkt aber wäre ein Mann wie Weidmann an der EZB-Spitze allemal die willkommenere Option. Und dabei wird unterstellt, dass der Bundesbank-Chef ungeachtet aller neuen Rhetorik seine Aversion gegenüber einer extrem expansiven Geldpolitik beibehalten hat.
Boom bei italienischen Staatsanleihen nur Strohfeuer
Es ist eine Frage der Alternativen. Nachdem nun auch zehnjährige französische Staatsanleihen zeitweise unter die Nulllinie gerutscht waren, haben Investoren auf der Suche nach Engagements, die noch halbwegs Rendite einbringen, italienische Staatsanleihen entdeckt. Insbesondere japanische Fonds, die in Bargeld schwimmen, haben hier in den vergangenen Wochen zugegriffen. So ist seit Monatsbeginn die Rendite zehnjähriger Bonds aus Rom um rund 0,5 PP zurückgegangen. Und nachdem die EU-Kommission nun einen Aufschub für Änderungen der italienischen Haushaltspolitik hat durchblicken lassen, drückt die Rendite, die derzeit bei ca. 2,15% liegt, weiter in Richtung zwei Prozent. Zum Vergleich: Zehnjährige Bundesanleihen rentieren aktuell mit -0,285%.
Italiens politische Risiken bleiben ungelöst
Allerdings hat Brüssel auch avisiert, dass ein Defizitverfahren gegen Italien ohne weitere Zugeständnisse der Regierung in Rom auf Dauer unvermeidbar wäre. Denn nicht nur Italiens politische Risiken bleiben ungelöst, zusätzlich stellt der Mix aus erhöhten Ausgaben, Steuersenkungen und schwachen Wachstumszahlen zunehmend die Tragfähigkeit der italienischen Schuldenlast infrage. Daher dürfte der Höhenflug italienischer Staatsanleihen nur von vorübergehender Dauer sein, so dass es bald wieder zu einem Renditeanstieg kommen dürfte. Der Nachfrage-Schub sollte sich somit als Strohfeuer entpuppen. Es sei denn, die noch italienisch geleitete EZB greift ins Marktgeschehen ein.
Schuldenstand gleicht einer tickenden Zeitbombe
Glaubt man den Worten von Italiens Vize-Regierungschef Luigi Di Maio, so wird die EU dem Land eine höhere Verschuldung zugestehen – sofern es nötig sei, um Steuern zu senken und mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Aktuell liegt die Verschuldung des Landes bei 131,2% des BIPs und damit weit über dem erlaubten Maastricht-Kriterium von 60%. Der Schuldenstand des drittgrößten Eurolands gleicht also einer tickenden Zeitbombe. Gleichzeitig zeigt die abwartende Haltung der EU, die weitere Schritte vertagt hat, wie wenig Spielraum Brüssel eigentlich hat. Italien hat es auch trotz der bisherigen exorbitanten Verschuldung nicht geschafft, das Wachstum nachhaltig zu steigern. Ob dies ausgerechnet mit seiner aktuellen, populistischen Regierung gelingen mag, darf zumindest bezweifelt werden.
Risiken bleiben – trotz Zinssenkungsphantasien
Es ist kein Wunder, dass die Unternehmensführer im Lande schlechte Laune haben. Angesichts des Handelsstreits und der damit verbundenen Strafzölle, dem Brexit oder dem Konflikt zwischen den USA und dem Iran sind die Konjunkturerwartungen in den Unternehmen weiter gesunken. Dies spiegelt sich im Ifo-Geschäftsklimaindex wider, der im Juni auf 97,4 Punkte und damit zum dritten Mal in Folge gefallen ist. Die Stimmung in den deutschen Chefetagen habe sich weiter abgekühlt, lautet daher das Resümee von Ifo-Präsident Clemens Fuest.
Johnson spaltet Großbritannien
Da ist zunächst der unrühmliche Streit der Briten um den Brexit, der nach der Ankündigung des bevorstehenden Rücktritts von Premierministerin Theresa May alles andere als entschärft ist. Zu sehr polarisiert ihr aussichtsreichster Nachfolger, Boris Johnson, die Gesellschaft. Während er für die einen eine Art Messias ist, stellt er für die anderen eine latente Provokation dar. Johnson verspricht den EU-Austritt zum 31. Oktober – ob mit oder ohne Deal. Dass Großbritannien unter May bereits einen Deal mit der EU ausgehandelt hat, ignoriert er einfach, indem er das im Parlament mehrfach abgelehnte Abkommen für tot erklärt. Und dennoch gibt er vor, auf Kooperation mit der EU zu setzen, um gleich hinterherzuschieben, keine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland einrichten zu wollen. Wie das mit einem EU- und einem Nicht-EU-Mitglied gehen soll, darüber schweigt er sich freilich aus.
Handelskonflikt zwischen den USA und China als größtes Risiko
Als größtes Risiko für die Weltwirtschaft aber gilt nach wie vor der Handelskonflikt zwischen den USA und China. Wie sich dieser entwickeln wird, ist noch offen. Immerhin hat am Mittwoch die Aussage des US-Finanzministers Steven Mnuchin, wonach der Deal mit China zu 90% fertig sei, die Aktienmärkte einen kleinen Freudensprung machen lassen. So erwartet das Ifo-Institut für die deutsche Wirtschaft auch keine Rezession. Und das obwohl für das laufende Quartal mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung gerechnet wird, nachdem das deutsche Bruttoinlandsprodukt von Januar bis März noch um 0,4% zugelegt hatte. Gemildert wird der Rückgang sicherlich durch die noch - insbesondere in der Bauindustrie - prall gefüllten Orderbücher.
Es droht ein Schattenkrieg zwischen den USA und dem Iran
Gefahren für die Weltwirtschaft gehen auch von dem Konflikt zwischen den USA und dem Iran aus. Nachdem D. T., der Unberechenbare, kurzfristig doch vor einem Militärschlag zurückgeschreckt war, wird es eng, was seine Handlungsoptionen angeht. Ungeachtet des Drucks, den Washington ausgeübt hat, will Teheran seine Uranproduktion erhöhen – über das Maß des Atomabkommens hinaus, das die USA gekündigt haben. Dagegen setzt Trump auf neue Sanktionen, die Teheran wieder an den Verhandlungstisch zwingen sollen. Ob diese Rechnung wirklich aufgehen wird, muss angesichts der Weigerung des Irans, mit den USA überhaupt zu verhandeln, bezweifelt werden. Dagegen scheint der Konflikt in eine Art Schattenkrieg abzugleiten, wie es manche Beobachter nennen. Dazu zählte ein Cyberangriff der Amerikaner auf die Computersysteme der iranischen Revolutionsgarden, die für den Abschuss einer US-Drohne verantwortlich gemacht werden.
Fehlende Alternativen beflügeln Aktienmärkte
Dass trotz dieser Risiken zumindest die Aktienbörsen in guter Laune sind, ist mit fundamentalen Daten kaum erklärbar. Vielmehr ist es auch hier eine Frage der fehlenden Alternativen. Denn am Markt gibt es so viel Liquidität, die angesichts des extrem niedrigen Zinsniveaus eben an den Aktienmarkt drängt – erst recht, nachdem sowohl Fed als auch EZB die Zinssenkungsphantasien neu entfacht haben.