Weidmann ist wieder im Rennen
Nach den turbulenten Europawahlen ist schnell wieder eifrige Geschäftigkeit in Brüssel eingekehrt. Kein Wunder, es gilt nach den zum Teil erdbebenartigen Verschiebungen, welche die Europawahlen mit sich gebracht haben, jede Menge Personalien zu klären. Während dabei die Chancen von Manfred Weber (CSU) auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten gesunken sind, ist ein anderer Deutscher wieder besser im Rennen als je zuvor. Obwohl lange abgeschrieben und insbesondere von den Südländern nicht gewollt, könnte Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, doch noch Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) beerben.
Wird Vestager die lachende Dritte?
Nachdem das deutsche Wahlergebnis dem Unionskandidaten Weber keinen Schub verpasst hat, macht ihm die liberale EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager das Amt streitig, weil die ALDE (Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa) mit den Sozialdemokraten und den Grünen über eine mögliche Zusammenarbeit sprechen wird. Die Liberalen stellen nach deutlichen Zugewinnen die drittgrößte Fraktion im Europaparlament, und auch die Grünen konnten kräftig zulegen. Damit könnte Vestager aus dem vermeintlichen Zweikampf zwischen Weber und dem sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans als lachende Dritte hervorgehen. Dies würde auch ins Konzept von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron passen, dessen Bewegung „En Marche“ sich der ALDE angeschlossen hat und der nie aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber Manfred Weber ein Geheimnis machte.
Besetzung des EZB-Chefpostens steht ebenfalls an
Wenn aber kein Deutscher an die Spitze der EU-Kommission rücken würde, könnte dies den Weg für Weidmann auf den Chefposten der EZB freimachen – auch deshalb, weil Deutschland bei der EZB noch nicht zum Zug gekommen war. Auch der CDU-Wirtschaftsrat macht kein Hehl daraus, seine Sympathie für Weidmann als EZB-Chef zu bekunden. „Wir halten ein Umsteuern in der Zinspolitik für absolut notwendig“, sagt ihr Präsident Werner Bahlsen - nicht zuletzt, weil die EZB nach seiner Einschätzung durch ihre Zinspolitik indirekt eine Staatsfinanzierung etwa für Italien leiste.
Kapitalmärkte für Weidmann
Weidmann käme sicher an den Kapitalmärkten deshalb gut an, weil für die größte Volkswirtschaft Europas die Besetzung des EZB-Präsidentenamtes von größerer ökonomischer Bedeutung ist als der Chefsessel der EU-Kommission – auch wenn sich bisher Angela Merkel für Manfred Weber stark machte. Jedoch wäre es nicht verwunderlich, wenn in dem jetzt beginnenden Postengeschacher Manfred Weber die Rolle des Bauernopfers zugewiesen wird. Angesichts der drohenden Ausuferung der italienischen Staatsverschuldung ist es ja nicht unwahrscheinlich, dass der künftige EZB-Chef vor die Frage gestellt werden wird, weitere Staatsanleihenkäufe zu tätigen. Aber mit Weidmann als EZB-Chef, der die Ankäufe stets kritisierte, wäre zumindest die Gefahr einer umfangreichen Transferlösung zugunsten von Schuldenstaaten geringer. Und der Stabilität des Euros wäre auch gedient. Doch muss man wissen, dass man von ihm auch keine Wunder erwarten kann.
Geldpolitik mit diversen Nebenwirkungen
Mit Blick auf die in der kommenden Woche stattfindende Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) ist es bereits jetzt an der Zeit, sich mit den zu erwartenden Entscheidungen und allen möglichen Tagesordnungspunkten zu beschäftigen. So wird am 6. Juni damit gerechnet, dass die Details der neuen langfristigen Refinanzierungsgeschäfte der dritten Serie (TLTRO3) bekanntgegeben werden. Ob es in diesem Zusammenhang auch Neues bezüglich gestaffelter Einlagensätze geben wird, ist zu bezweifeln. Denn inzwischen mehren sich die Befürchtungen, dass Staffelzinsen als ein falsches Signal an die Kapitalmärkte interpretiert werden könnten. Nicht von Ungefähr hat Bundesbank-Vorstand Sabine Mauderer auf die Gefahr hingewiesen, dass dies als „Türöffner für weitere Zinssenkungen“ gedeutet werden könnte und EZB-Vize Luis de Guindos merkte an, dass es keinen Grund für die oft diskutierte Staffelung der Strafzinsen gebe.
Strafzinsen an EZB über acht Milliarden pro Jahr
Es ist also auch weiterhin davon auszugehen, dass Banken für überschüssige Gelder Zinsen an die EZB zahlen müssen. In den USA werden diese Gelder zwar seit dem 1. Mai 2019 trotz unverändertem Leitzins-Korridor „nur“ noch mit 2,35% verzinst, aber das bedeutet zugleich ca. 38 Mrd. USD als jährliche Überweisung der US-amerikanischen Notenbank (Fed) an in den USA operierende Banken. Bei der EZB hingegen ist wegen des Strafzinses eine Zahlung der Banken an die Zentralbank i.H.v. ca. 8 Mrd. € zu erwarten. Vor diesem Hintergrund sollte der EZB-Rat die möglichen Folgen der Negativzinsen erörtern, auch wenn die Gewinnschwäche der Geldhäuser im Euro-Raum sicherlich noch andere Ursachen hat. Allerdings hat auch Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau bereits seine Meinung kundgetan. Er behauptet, dass die Auswirkungen überbewertet würden und eine sorgfältige, seriöse Analyse nicht von heute auf morgen erfolgen könne.
Billiges Geld als Verlockung für französische Firmen
Doch dürfte auch ein anderer Aspekt der EZB-Geldpolitik bei dieser Diskussion zum Tragen kommen, der in den vergangenen Tagen immer wieder Thema an den Finanzmärkten war. Insbesondere französische Unternehmen haben laut einer Auswertung von Dealogic das billige Geld genutzt, um ausländische Konkurrenten aufzukaufen und in den USA zu expandieren. So wurden 2017 und 2018 jeweils rund 100 Mrd. USD von französischen Unternehmen für Übernahmen aufgewendet. Dies belegen die jüngst von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) veröffentlichten Zahlen. Nach ihnen belaufen sich die Schulden von Unternehmen in Frankreich auf ca. 143% des BIPs, im Vergleich dazu die Zahlen für deutsche (ca. 55% des BIPs) und amerikanische Unternehmen (ca. 74% des BIPs). In manchen Fällen versorgten französische Gesellschaften sogar ihre ausländischen Tochterunternehmen mit billigem Geld aus dem Euroraum.
Aufsicht in Sorge
Die Aufsichtsbehörde in Frankreich und die EZB beobachten diese gefährliche Entwicklung bei den Unternehmensschulden mit Sorge und befürchten bei einer nachhaltigen Abschwächung des Wirtschaftswachstums eine Destabilisierung des Finanzsystems. Aus diesem Grund wurden die französischen Banken in den vergangenen Jahren mehrfach aufgefordert, ihre Kredite an Unternehmen mit höheren Rücklagen abzusichern. Da es sich hierbei aber nicht nur um ein französisches Problem handelt, sondern auch in Deutschland beim Zusammenschluss von Bayer und Monsanto eine Rolle spielte, darf man auf die Risikoanalyse durch die europäischen Notenbanker gespannt sein. Mehr dazu in Kürze.
Auch Mays Nachfolger steht vor einem Dilemma
Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte. Nachdem sich Theresa Mays Tories und Jeremy Corbyns Labour-Party nicht auf die Details eines geregelten EU-Austritts einigen konnten, ist Nigel Farage der laut lachende Dritte. Bei den Europawahlen trug seine neue Brexit-Party mit 31,6% der Stimmen den Sieg davon – auch wenn es nicht mal ein Wahlprogramm gibt. Labour und insbesondere die Tories erlebten ein historisches Desaster. Allerdings zeugen 37% Wahlbeteiligung nicht gerade von einem großen Interesse an Europa. Jedoch sollte dies auch nicht verwundern. Geht es doch lediglich um einen Überbrückungszeitraum von ca. fünf Monaten.
Das Pfund tendiert nach unten
Was der Kapitalmarkt von dem Wahlausgang hielt, wurde anhand des Pfund-Kurses deutlich, der seit Montag auf 1,2610 USD gedrückt wurde. Die Frage ist nun, was denn kommen wird. Nachdem May ohnehin ihren Rücktritt angekündigt hat, ist der Machtkampf um ihre Nachfolge längst entbrannt. Bis zu 20 Tories dürften sich warmlaufen, von denen sich der Brexiteer Boris Johnson die besten Chancen ausrechnen kann. Denn nach Farages Erfolg ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass die Tories einen Hardliner wählen werden.
Harter Brexit wird wahrscheinlicher
Doch, egal wer May beerben wird, auch der neue Vorsitzende der Konservativen und vermutlich auch nächste Premierminister wird vor dem Dilemma der Brexit-Blockade stehen. Denn das Land bleibt gespalten. Schließlich stehen den 31,6% von Farages Brexit-Partei 39,4% der proeuropäischen Parteien gegenüber, allen voran die Liberal Democrats. Da könnte es ja für die Tories eine Option sein, einen Kandidaten an ihre Spitze zu wählen, der die Fähigkeit zur Versöhnung hat, was Kandidaten wie Michael Gove oder Jeremy Hunt nachgesagt wird. Zu befürchten ist aber, dass sich eben Johnson oder der Brexiteer Jacob Rees-Mogg durchsetzen wird. Und dann würde alles auf einen harten Brexit ohne Deal hinauslaufen. May hat bereits vorab ihrem noch zu bestimmenden Nachfolger mit auf den Weg gegeben, doch bitte, bitte keinen harten Brexit zuzulassen.
BaFin führt „atmenden“ Kapitalpuffer ein
Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Weil es den Deutschen einigermaßen gut geht, sollen sie rechtzeitig an mögliche Krisen denken und entsprechende Kapitalpuffer aufbauen. Dies empfiehlt der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die Absicht, die dahintersteckt: Banken sollen in guten Zeiten ein Reservepolster aufbauen, um damit in schlechteren Zeiten Verluste auffangen zu können.
Banken müssen 5,3 Milliarden Euro mehr Kernkapital vorhalten
Dafür soll der sogenannte antizyklische Kapitalpuffer aktiviert werden, der die Finanzinstitute gegen unvorhergesehene Entwicklungen schützen soll. Dieser Puffer, der aktuell bei null Prozent liegt, soll nun erstmals eingeführt und auf 0,25% der risikogewichteten Aktiva angehoben werden. Laut BaFin müssen die Institute dafür 5,3 Mrd. € mehr hartes Kernkapital vorhalten. Den Banken soll eine Frist von bis zu zwölf Monaten gewährt werden, um die Vorgaben zu erfüllen. Wie die BaFin sagt, handelt es sich dabei um einen „atmenden" Puffer, der je nach Lage wieder verringert, aber auch erhöht werden kann.